Re: Inschrift auf einem Bild des 16. Jhdts.
Vielen Dank für die Überlegungen - um ein Rätsel handelt es sich, jedoch keines, dessen Lösung ich derzeit bieten könnte.
Auf den Hymnus über
Vitus martyr bin ich auch gestoßen, betrachte ihn aber gleichfalls als für die Deutung irrelevant - nicht nur der zeitlichen Distanz, der offensichtlich geringen Verbreitung, sondern vor allem der Tatsache wegen, dass er sich kaum mit der Darstellung in Einklang bringen lässt.
Das fragliche Bild zeigt nämlich die Madonna mit dem Kind und dem Johannesknaben, kein besonders exotisches Sujet der christlichen Kunst - über der Gottesmutter hängen u.a. Trauben, zweifelsohne ein Symbol der ihrem Sohn bevorstehenden Passion, ein Vorverweis, der in dieser Bildtradition eine wichtige Rolle spielt.
Der Text, dessen Anfang ich vorgelegt habe, läuft von links nach rechts den Mantelsaum entlang. Eines der Probleme besteht darin, dass der Mittelteil, der auf diesen Abschnitt folgt, schon im Gemälde selbst nahezu unleserlich ist. Hier hoffe ich noch auf besseres Bildmaterial. Am Ende sieht man jedenfalls:
http://www.tiikoni.com/tis/view/?id=ae618db
Es wirkt, als gehöre
ROMANORUM (das M ist verblasst) noch zum Mittelteil. Das Rautensymbol trennte demnach den folgenden Text ab, in dem mir vor allem
VRX unklar ist.
Doch zunächst noch einmal zum Anfang. Unstrittig scheint mir
LεO MITIS TRεPIDAT, bei
ΧΡε εΙSON gehe ich wie Kuli davon aus, dass es sich um eine Verbindung des Christusmonogramms mit einer verkürzten lat. Umschrift handelt (wahrscheinlich nach mittelalterlicher Gepflogenheit) - ein dem gebrachten ähnliches Beispiel eines Textes aus dem 13. Jhdt. noch im Druck um 1525:
https://tinyurl.com/z6mx93t
Ich vermute überdies, dass der
LεO MITIS der symbolische Ausdruck der Doppelnatur Christi zwischen Löwe als Herrscher und Lamm als Opfer ist - in den Predigten des Augustinus heißt es: „Nonne agnus Christus? Nonne et leo Christus? Inter feras et pecora, qui agnus agnus, qui leo leo: utrumque Christus“,„Quis est iste agnus et leo? Mitis et fortis, amabilis et terribilis, innocens et potens, tacens iudicatus, fremens iudicaturus“, später bei Joachim von Fiore u.a. „Est autem Christus dictus leo et agnus; agnus propter innocentiam, leo propter fortitudinem virtutum“ & c.
TREPIDAT könnte sich auf die in
Mk 14, 32-36 geschilderte Furcht vor den kommenden Ereignissen beziehen, die Jesus in Gethsemane erfasst.
Um, die Anregung von
HM = HIERUSALEM (indeklinabel) aufgreifend, ein wenig spekulativ zu werden, könnte man in
POPVM POP(UL)UM, eine geläufige Abbreviatur, in
CAMAE? (wobei von der Schreibung gr.
ε für lat.
E abgewichen würde) eine Entstellung oder Variante von CANAE lesen? Sind Erstere folglich Akkusative zu
ΧΡε εΙSON?