Latein Wörterbuch - Forum
molliter ossa cubent — 891 Aufrufe
obscurus am 19.6.16 um 14:14 Uhr (Zitieren)
Ich habe eine Frage zu der Wendung molliter ossa cubent. War diese Fomulierung im Lateinischen so geläufig, dass sie jede Besonderheit verloren hatte (so wie sich heute ein „Ruhe sanft“ in unzähligen Todesanzeigen und auf ebenso vielen Grabsteinen finden lässt)?
Ovid benutzt diese Worte bekanntlich in Tristia III,3,75, aber auch in Amores I,8,108. Ich frage mich nun, ob es vertretbar ist, daraus zu schließen, dass Ovid durch die Auswahl dieser Formulierung für seine Grabinschrift ganz bewußt diese Assoziation heraufbeschwört und sich am Ende seines Lebens verbittert und geradezu selbstvernichtend mit der Kupplerin Dipsas verglichen sehen will?
Mögliche Parallelen enden auch noch nicht mit molliter ossa cubent: Der Fluch, den der Dichter am Ende von Amores I,8 Dipsas entgegenschleudert (statt sie zu verprügeln) hat sich in frappierender Weise an Ovid selbst erfüllt: Di tibi dent nullosque Lares inopemque senectam / et longas hiemes perpetuamque sitim, welches ein weiteres Indiz für die Vertretbarkeit dieses Interpretationsansatzes darstellen würde. Weiterhin findet sich in Amores I,8,19f. mit haec sibi proposuit thalamos temerare pudicos / nec tamen eloquio lingua nocente caret eine exakte Formulierung dessen, was Ovid „offiziell“ zum Vorwurf gemacht wurde und zu seiner Verbannung führte.
Ich weiß, dass man die Gleichsetzung eines lyrischen Ichs mit der Person des Dichters besser nicht übertreiben sollte, frage mich aber in diesem Fall, ob es tasächlich so verfehlt wäre, anzunehmen, dass ein völlig desolater Ovid hier am Ende seines Lebens durch die Verwendung dieser drei Worte und die Verknüpfung mit Dipsas ein letztes, erschütterndes Selbstporträt zeichnet: anus non sobria, alba raramque coma, lacrimosa vino lumina, rugosae genae ...?
Re: molliter ossa cubent
filix am 19.6.16 um 21:19 Uhr, überarbeitet am 20.6.16 um 12:36 Uhr (Zitieren)
Zur Frage der Verbreitung sei aus dem Kommentar zu den Heroides von Peter Knox zitiert:

molliter ossa cubent: this sentiment is common in funerary inscriptions*, such as CLE 428.15, 1458.1; cf. Am. 1.8.108 ut mea defunctae molliter ossa cubent Trist. 3.3.76 But this particular formulation with molliter is first found in Virg. Ecl. 10.33 molliter ossa cubent [eigentlich quiescant], in the speech of the love-poet Gallus [70 - 26 v. u. Z.], whose poetry O. may be imitating here; see Clausen ad loc.

*Weitere Beispiele zwischen Rom und Karthago unter http://db.edcs.eu/epigr/epi_en.php - Suchbegriff „molliter“

Der Schluss von Am. I, 8 ist überdies eine (abgemilderte) Imitation Properzens: https://books.google.de/books?id=hJc3AAAAIAAJ&pg=PA62

Dessen ungeachtet - Ähnlichkeiten zwischen den Lehren der Ars amatoria, die ja als das carmen gilt, das nebst error das Schicksal des Dichters besiegelt hat, und jenen der Dipsas lassen sich wohl ausmachen. Wie aber willst du die Identifikation im Rückblick aus der Verbannung denn überhaupt verstanden wissen? Als nun erkannte Prophezeiung? Als Schuldbekenntnis, wo es doch in Trist. II „nullum legisses crimen in Arte mea“ (240) und „arguor inmerito“ (327) heißt? Wie passt die Geringschätzung der Dichtung in den Worten der Kupplerin zur Selbsteinschätzung des Werks in Trist. III, 3, das ja gleich nach der Grabinschrift gerühmt wird, obwohl es ihm geschadet habe? Ist die intime Klage über das eigene Ende, die an die als mea lux angesprochene Ehefrau gerichtet ist, wirklich der Ort für eine solche Anspielung? Et cetera.



Re: molliter ossa cubent
obscurus am 19.6.16 um 22:31 Uhr (Zitieren)
Vielen Dank für deine Stellungnahme; deine Ausführungen (und Links) sind sehr informativ und werden auch als ein „heilsames“ Korrektiv für meine weiteren Überlegungen wirken ...
 
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Zur Frage der Verbreitung sei aus dem Kommentar zu den Heroides von Peter Knox zitiert:

molliter ossa cubent: this sentiment is common in funerary inscriptions*, such as CLE 428.15, 1458.1; cf. Am. 1.8.108 ut mea defunctae molliter ossa cubent Trist. 3.3.76 But this particular formulation with molliter is first found in Virg. Ecl. 10.33 molliter ossa cubent [eigentlich quiescant], in the speech of the love-poet Gallus [70 - 26 v. u. Z.], whose poetry O. may be imitating here; see Clausen ad loc.

*Weitere Beispiele zwischen Rom und Karthago unter http://db.edcs.eu/epigr/epi_en.php - Suchbegriff „molliter“

Der Schluss von Am. I, 8 ist überdies eine (abgemilderte) Imitation Properzens: https://books.google.de/books?id=hJc3AAAAIAAJ&pg=PA62

Dessen ungeachtet - Ähnlichkeiten zwischen den Lehren der Ars amatoria, die ja als das carmen gilt, das nebst error das Schicksal des Dichters besiegelt hat, und jenen der Dipsas lassen sich wohl ausmachen. Wie aber willst du die Identifikation im Rückblick aus der Verbannung denn überhaupt verstanden wissen? Als nun erkannte Prophezeiung? Als Schuldbekenntnis, wo es doch in Trist. II „nullum legisses crimen in Arte mea“ (240) und „arguor inmerito“ (327) heißt? Wie passt die Geringschätzung der Dichtung in den Worten der Kupplerin zur Selbsteinschätzung des Werks in Trist. III, 3, das ja gleich nach der Grabinschrift gerühmt wird, obwohl es ihm geschadet habe? Ist die intime Klage über das eigene Ende, die an die als mea lux angesprochene Ehefrau gerichtet ist, wirklich der Ort für eine solche Anspielung? Et cetera.



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