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De Brevitate Vitae — 1802 Aufrufe
Max am 4.2.13 um 23:46 Uhr (
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IIIch habe eine Frage zum ersten Satz von Senecas „De brevitate vitae“:
I. 1 Maior pars mortalium, Pauline, de naturae malignitate conqueritur, quod in exiguum aeui gignimur, quod haec tam uelociter, tam rapide dati nobis temporis spatia decurrant, adeo ut exceptis admodum paucis ceteros in ipso uitae apparatu uita destituat.
Ich verstehe nicht ganz, warum hier dati steht, denn ich dachte es gehört der uns gegebene Zeitraum zusammen, also eigentlich *data nobis temporis spatia. Wenn das aber nicht der Fall ist, was gehört dann zusammen? "Dass so schnell (tam rapide) der uns zugestandene Zeitraum (dati? nobis temporis spatia) vorrübergehen (decurrant).
Vielen Dank
Re: De Brevitate Vitae
Max am 4.2.13 um 23:53 Uhr (
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III*vorübergeht natürlich
Re: De Brevitate Vitae
Seneca am 5.2.13 um 2:37 Uhr (
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IVdati gehört zu temporis
Re: De Brevitate Vitae
paeda am 5.2.13 um 9:52 Uhr (
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IISpatia ist Plural, falls das ein Problem gewesen sein sollte, daher decurrant.
aevi, velociter, vitae, vita
Die „u“s irritieren ein wenig!
Re: De Brevitate Vitae
rico am 5.2.13 um 10:00 Uhr (
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IIv und u häufig synonym verwendet. vor Vokalen wie w
also veni = ueni = „weni“
Re: De Brevitate Vitae
rico am 5.2.13 um 10:06 Uhr (
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IItam rapide dati nobis temporis spatia decurrant
etwa (wörtl:)
so schnell vergeht der Raum an Zeit, die uns gegeben ist
daher also dati (
Gen.Sg.) zu temporis
Re: De Brevitate Vitae
paeda am 5.2.13 um 10:07 Uhr (
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IIIch weiß, dass bei den Römern u = v war. Wenn man mit den alten Texten normalerweise nichts zu tun hat, ist es aber gewöhnungsbedürftig.
Bezüglich der Aussprache weiß man ja nicht, ob „ueni“ wie das deutsche w oder das englische w (double u) gesprochen wurde, oder?
Re: De Brevitate Vitae
rico am 5.2.13 um 10:17 Uhr (
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IISo genau weiß ich das nicht, ich habe gelernt, es wie das engliche w zu sprechen, wie bei Westminster!
zu dem „gewöhnungsbedürftig“: Die wissenschaftlichen Textausgaben (Oxford, Teubner) verwenden häufig nur u, also einen Buchstaben für v/u. Man gewöhnt sich schnell ;-)
Re: De Brevitate Vitae
paeda am 5.2.13 um 10:28 Uhr (
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IIDanke, rico!
Bezüglich der Aussprache würde ich mich noch umstellen, wenn noch andere für diese Aussprache plädierten!
Mit wissenschaftlichen Textausgaben habe ich bislang nichts oder wenig zu tun; kann ja noch kommen! Je häufiger man damit konfrontiert wird, desto schneller der Gewöhnungseffekt, da gebe ich dir Recht!
Re: De Brevitate Vitae
Clavileo am 5.2.13 um 12:19 Uhr (
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VIMit der Aussrpache ist das natürlich nicht ganz so einfach.
Die überlieferte lateinische Sprachgeschichte umfasst ja von den ersten Inschriften bis zu den letzten „Muttersprachlern“ ca. 1200 Jahre (wobei man sich natürlich streiten kann, wo die roman. Einzelsprachen genau anfangen) und da tut sich natürlich einiges. Man kann, so man einen eher schlechten als rechten Vergleich erzwingen will, einmal im Deutschen zurückrechnen: vor 1200 Jahren beginnt man gerade Althochdeutsch zu sprechen, ist erst seit ca. 100 Jahren eine aus dem Urgermanischen ausgegliederte Einzelsprache, und ca. seit dieser Zeit gliedern sich auch die anderen germanischen Sprachen aus. Wie sieht es mit deren Aussprache nach 1200 Jahren aus? Sie gleicht unserer nur bedingt, wir können höchstens sagen wir haben als Deutsche einen „Vorteil“ gegenüber einem Franzosen oder Italiener, wenn wir Englisch oder gar Schwedisch etc. sprechen. Auch gleicht das Französische dem Spanischen in der Aussprache wenig.
Wöllten wir also genau sein, dann müssten wir einen Text von Cicero anders vorlesen als einen Text Senecas.
Soweit ich mich erinnere treten im 1. Jh. n. Chr. zum ersten Mal Verwechslungen von Schreibungen mit <b> und <v> auf. Das lässt eindeutig darauf schließen, dass (erst) zu dieser Zeit das /v/ vermutl. ein bilabiales war (wie im heutigen Spanischen, also mit beiden Lippen gesprochen, nicht mit Lippe und Zähnen), das /b/ jedoch ebenfalls schon. Sehen kann man das heute noch im Spanischen, wo die Aussprache beide Laute im Anlaut als [b], im Inlaut als [β] gilt. Das war vermutlich auch im Lateinischen einige Zeit lang so, in der „direkten Fortführung“, dem Latein Italiens wurde diese Regularisierung wieder Rückgängig gemacht, in einigen Dialekten jedoch beibehalten: In Sardinien heißt die Kuh noch [bak:a], im Italienischen dagegen vacca.
Trotzdem schreibt der Italiener konsequent im Inlaut <v>, also amava für „amabat“ und avere für „habere“. Für das erste Jahrhundert dürfen wir also wohl schon eine bilabiale Aussprache beider Laute annehmen. Wann das -b- labiodental wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, wahrscheinlich ist es eine einzelsprachliche Entwicklung in späteren Jahrhunderten, denn sie trat im Spanischen ja nicht ein.
Man sieht, Frage nach der Lateinischen Aussprache müsste durchaus für jedes Jahrhundert verschieden beantwortet werden, und es ist fraglich, ob sich das lohnt...
Zu einer „genaueren“ Aussprache sei noch gesagt:
Für Augustus ist schon belegt, dass er es für „pedantisch“ hielt, das -i- in „dominus“ auszusprechen anstatt [domnus] zu sagen.
Noch früher, schon für Cicero ist belegt, dass er gerne das /n/, zumindest in der Verbindung /-ns-/, nasalierte und [hortesia] anstatt [hortensia] sagte, etc.
Ob nun Cicero das [h-] der hortensia mitsprach und ob Augustus [domnus] oder gar [domnu] sagte, entziet sich auch meiner Kenntnis.
Re: De Brevitate Vitae
Clavileo am 5.2.13 um 12:22 Uhr (
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II*Wann das /v/ bilabial wurde...
Re: De Brevitate Vitae
Clavileo am 5.2.13 um 12:23 Uhr (
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III* Wann das /v/ labiodental wurde...
SO RUM gehört es natürlich.
Re: De Brevitate Vitae
Clavileo am 5.2.13 um 12:42 Uhr (
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IIAh, hab’s gefunden =)
Sequenda est vero non numquam elegantia eruditorum virorum, qui quasdam litteras
lenitatis causa omiserunt, sicut Cicero, qui [i]fortesia et Megalesia et hortesia sine n littera
libenter dicebat.[/i]
Re: De Brevitate Vitae
Ähm, auch wenn das jetzt nicht mehr ganz im Zusammenhang steht, danke für die Hilfe :D
Re: De Brevitate Vitae
paeda am 5.2.13 um 22:23 Uhr (
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IIVielen herzlichen Dank für den ausführlichen Beitrag zur Ausspracheentwicklung! Soll man jetzt statt dankender Worte auf den like-Button drücken? Sicherheitshalber habe ich’s zusätzlich getan! ;-))