Ich höre jetzt immer öfter, dass schon in der Antike Latein mehr eine Schriftsprache war als eine gesprochene. Stimmt das etwa? Dass die Gebildeten Römer alle attisch sprachen bzw. sprechen konnten, weiß ich. Dennoch wurde ja wohl sonst „normal“ Latein geredet, oder?
nun ja,
Latei hatte bestimmt, wie alle Sprachen, im Laufe der Zeit örtliche Dialekte entwickelt.
Was wir in der Schule an Latein lernen, ist das ab ca. 50 v.Chr. standardisierte und normisierte Latein
der sogenannten Klassiker, das eben in diesem Augenblick „erstarrt“ ist und seit 2.000 Jahren
sich nicht mehr geändert hat.
Wie „normales“ Latein gesprochen wurde und wie es sich anhörte, wissen wir nicht und können es nur vermuten..
ja, Latein wurde in Latium, der Gallia Cisalpina, im von Caesar eroberten Teil Galliens gesprochen...
Im Rest der Oikoumene, bzw. dem damaligen Römischen Reich (was ja noch nicht seine volle Ausdehnung hatte) als Verkehrssprache Griechisch...
Dann wurde Latein dann eigentlich wirklich wenig gesprochen, oder? Wo gibts Quellen dazu, wo und wie es gesprochen wurde? War es dann hauptsächlich eine Schriftsprache?
Griechisch war zwar die Verkehrssprache, insbesondere der Gebildeten.
Aber Latein wurde natürlich in Italien und den eroberten Kolonien zunehmend zur allgemeinen Sprache. Sonst hätten sich doch nicht die romanischen Sprachen gebildet!
Gallien .. Frankreich ... französche
Hispania ... spanisch, potugisisch
und Rätoromanisch, rumänisch (mit slawischen u.a. Einflüssen) etc.
Aus einer reinen Schriftsprache wären diese Sprachen nicht hervor gegangen.
Quellen für Latein als Umgangssprache sind 1. private Inschriften (auch Graffiti) sowie 2. die Komödien von Plautus und Terenz.
Ein Beispiel für ein sehr umgangssprachliches Graffito:
„Ubi cacaturiero, veniam cacatum“
Die Inschriften belegen übrigens, daß in der Spätantike, etwa ab dem 3. Jhdt., in Italien Griechisch die Umgangssprache der einfachen Leute war (offensichtlich durch den Import von Facharbeitern aus dem Ostteil des Reiches), während die gehobenen Stände eher Latein sprachen. Also genau umgekehrt wie in der Zeit der klassischen Latinität, da Caesar, von den Dolchen seiner Mörder getroffen, seinen letzten Satz auf Griechisch sprach: „kaì sú, téknon?“
Also mal ganz pragmatisch, zur Zeit Ciceros oder der anderen, da wurde auf dem Forum Romanum bzw. im Alltag eher griechisch gesprochen, Cicero redete mehr auf griechisch? Dennoch wurde schriftlich das meiste auf Latein festgehalten?
Nicht als Umgangssprache des einfachen Volkes, sondern als die der Gebildeten (so wie im 18. Jhdt. Friedrich der Große Französisch mit seinen Tischgenossen parlierte). Im amtlichen Kontext (z.B. Cicero vor Gericht) wurde sicherlich Lateinisch gesprochen. Aber wenn er mit Freunden über griechische Philosophie sprach ...
Caesars Äußerung empfinde ich als sehr bezeichnend - ebenso, daß der ältere Cato, der diese unlateinische ‚Unsitte‘ immer bekämpft hatte, auf seine alten Tage noch Griechisch lernte.
Mal eine längere Erläuterung:
Die muttersprachlichen Lateiner waren im Römischen Reich immer eine verschwindend kleine Minderheit gewesen.
Eben nur die eigentlichen Bewohner der Stadt Rom und Umgebung
(Latium).
Und natürlich wurde in Rom Latein gesprochen.
Aber ein Vulgärlatein.
Wir reden ja auch nicht so, wie Goethe, Schiller oder Thomas Mann geschrieben haben.
Wer als Provinzler, der durch irgendwelche Umstände das Römische Bürgerrecht erworben hatte, Karriere in Verwaltung oder Legion machen wollte, musste natürlich Latein lernen und sprechen.
Aber, wer als Kaufmann oder sonstwie Reisender im Römischen Reich zurechtkommen wollte, musste Griechisch sprechen,
weil das die allgemein anerkannte, wenn auch nicht „gesetzlich“ vorgeschriebene Verkehrssprache rund ums Mittelmeer war, so wie heute Englisch
Erst ab dem 3.Jahrhundert, im Zuge der Christianisierung wurde Latein stärker im Westen des Reiches verbreitet, im Osten behielt Griechisch die Oberhand.
Das beantwortet freilich nicht die - reizvolle, doch vermutlich letztlich unbeantwortbare - Frage, welcher Sprache sich Cicero und Caesar beim Tischgeplauder bedient haben.
Ich empfinde es halt als bezeichnend, daß Caesar in solch einer Extremsituation wie dem Moment seiner Ermordung ... Griechisch gesprochen hat.
Lateinhelfer am 29.12.10 um 9:38 Uhr (Zitieren) II
Über den Wahrheitsgehalt sagt das nichts aus. Viele antike Geschichtschreiber waren nicht bei allen Ereignissen dabei und mussten sich auf Überlieferungen/Quellen stützen. Sueton war als Verwaltungsbeamter da noch sehr nah an den Aufzeichnungen. Obwohl man bei antiken Geschichtsschreibern immer vorsichtig sein muß, da auch oft politisch und persönlich gefärbte Meinungen einflossen.
Sueton relativiert die griechische Aussage schon etwas, wenn man den Originaltext anschaut:
Woher kommt denn immer die These, dass nur in Rom und Umgebung Latein gesprochen wurde? Dass die gebildeten Römer griechisch konnten, wird ja aus den Quellen sehr deutlich, aber dass außerhalb von Rom selbst im Alltag eher griechisch gesprochen wurde, wo findet man diese Aussagen? Wenn die Römer nach und nach ihre Macht vergrößerten, warum kam dann nicht auch ihre Sprache? Klar, im Osten war es eher griechisch, aber im Westen?
Zu Sueton: Es ist ja immer die Frage, wie viel Wahrheit in den ultima verba steckt, oft sind diese Worte auch im Nachhinein so erdichtet worden, damit es auch zum Charakter des Menschen passt. Und Caesar war ja auch ein Gebildeter, dass er griechisch konnte ist klar.
@regulus:
ja, es handelt sich um offensichtlichen Unsinn; allein die Tatsache, dass das (gesprochene) Latein in den im ganzen Westen flächendeckend verbreiteten romanischen Sprachen weiterlebte, ist ein unschlagbarer Gegenbeweis. Und viel früher: warum hätte sich z.B. ein Plautus die Mühe machen sollen, die griechische Komödie zu latinisieren?
Und zu Lateinhelfers Bemerkungen:
- Meinungsfreie Geschichtsschreibung gibt es nicht;
- Zeugen für den angeblichen Ausspruch können nur die Mörder gewesen sein, die meisten hatten keine Gelegenheit mehr und auch keine Veranlassung, den Vorgang schriftlich zu fixieren, und das auch noch wahrheitsgemäß
- insofern ist der Hinweis auf hypostasierte Akten obsolet
- Suetons „quidam“ können allerdings griechische Autoren gewesen sein
- etwas ohne jeden vernünftigen Grund für wahr zu halten, nur weil es vor 2000 Jahren aufgeschrieben wurde, ist leider sehr weit verbreitet
Re: Latein sprechen
Lateinhelfer am 29.12.10 um 13:11 Uhr (Zitieren) II
@arbiter:
Welche Quellen Sueton genau benutzt hat, wissen wir nicht. Er hatte Zugang zu vielen Aufzeichnungen im Staatsarchiv. Ob die Caesarmörder noch etwas fixiert haben, wissen wir nicht. Insbesondere Brutus, der in engem Kontakt, auch schriftlich mit Cicero stand, kann einiges überliefert haben. Nur sind viele Quellen verloren.
vielen Dank, aber nachdem ich mich jahrzehntelang professionell mit Geschichte, Geschichtsproduktion, Geschichtspolitik etc. beschäftigt habe, brauche ich in dieser Hinsicht ganz bestimmt keine Hilfestellung
Re: Latein sprechen
Lateinhelfer am 29.12.10 um 13:30 Uhr (Zitieren) II
Nochmal:
zu den Zeiten Caesars und Ciceros, also im ersten Jahrhundert VOR Christus, wurde kaum außerhalb Latiums Latein gesprochen...
Latein als Sprache verbreitete sich im Westen erst mit der Christianisierung ab dem 300/400. Jahrhundert NACH Christus, nachdem die Bibel, besonders das Neue Testament aus der griechischen Fassung ins das Latein der damaligen Zeit übersetzt wurde und der Bischof von Rom allmählich im Westen eine Vorrangstellung erreichte (Papst Leo).
Natürtlich war die Verwaltungssprache der Provinzenverwaltung Latein und die Menschen in den Provinzen haben ihre Muttersprache gesprochen, aber überreginale Kommunikation erfolgte zur Zeiten Ceasars und Cicero eben auf Griechisch.
Aber konnte denn zur damaligen zeit siene Heimatregion schon verlassen?
Entwederman war Händler, Soldat in der Legion oder wurde als Sklave nach Delos verschleppt zum größten Sklavenmarkt seiner Zeit.
Der „Otto Normalverbraucher“ verließ Zeit seines Lebens seine Heimatregion nie...
Dann schauen wir uns mal das Imperium zum Zeitpunkt von Caesar Tod an:
Was gehört dazu:
1.) Natürlich an erster Stelle ist das Pomerium zu nennen, das „eigentliche“ Stadtgebiet der urbs.
2.) Dann Italia, das Gebiet der alten Wehrgemeinschaft,
3.) Sicilia, Corsica, Sardinia, als älteste Provinzen.
4.) Dann Gallia Ulterior (die französische Mittelmeerküste, ein schmaler Streifen)
Gallia Citerior (die Poebene, die im Altertum NICHT zu Italien zählte)
5.) Nach den Punischen Kriegen kamen hinzu:
Africa (das ehemalige Karthagische Staatsgebiet)
Hispania Citerior
Hispania Ulterior
(das heutige Spanien und Portugal, mit Ausnahme des Nordens der Halbinsel)
6.)
Illyricum, Macedonia, Epirus, Achaia, (die dalamatinische Küste und das heutige Griechenland)
Asia (geerbt, der westlichste Teil von Kleinasien)
@Regulus
Latein als Sprache der römischen Kirche verbreitete sich natürlich mit der Christianisierung ab dem 4.Jahrhundert n.Chr. west- und nordwärts in Europa.
Aber dieser Prozeß dauerte nun mal seine Zeit.
Latein war die Verwaltungs- und Juristensprache, aber im Volk wurde es erst über Generationen hinweg verbreitet...
Als Chlodwig, König der Franken im 5.Jahrhundert Gallien bis fast zum Mittelmeer eroberte und sich katholisch, d.h. nach dem Ritus der römischen Kirche (also weder Arianisch noch nach Ritus von Konstantinopel) taufen ließ, übernahm er die Verwaltungsstrukturen der Römer, damit auch die Sprache.
Jetzt setzte eine Entwicklung ein, die zum heutigen Französich führte.
400 Jahre später mußten die Enkel von Karl dem Großen schon einen multilingualen Eid schwören, weil die West-(westlich vom Rhein) und Ostfranken (östlich vom Rhein) sich schon nicht mehr verstanden
(die berühmten „Straßburger Eide“)
Ergänzung:
Wir wissen nicht, welche Sprache die illyrischen Seeräuber, gegen die Pompeius per außerordentliche Vollmachten mittels der Pinkertonschen Methode vorgegangen ist, gesprochen haben.
Sie haben keine Tagebücher geführt, die Pompeius nach Rom gebracht hat.
Leider zitiert auch Caesar mit keinem Wort die Sprache, die Ariovist benutzt hatte...
Wir können aber davon ausgehen,
daß sich Caesar und Kleopatra auf Griechisch unterhalten haben...
Cicero hat als Statthalter in Klikien die Steuerabrechnung auf Latein, aber die alltägliche Unterhaltung auf Griechisch geführt...
Leider erwähnen die Evangelisten auch nicht die Sprache, die sich Pontius Pilatus während des Verhörs des Jesus von Nazareth bedient hatte.
Jesus Muttersprache war Aramäisch, er studierte aber die Thora und konnte bestimmt bruchstückhaft Hebräisch, die Sprache der Thora.