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Wer hat's erfunden? — 2137 Aufrufe
Paula am 19.8.20 um 16:14 Uhr (Zitieren)
Hallo zusammen,

hinsichtlich der Bedeutung zweier Schreinsbucheinträge diskutiere ich gerade mit meinem Doktorvater. Könnte bitte jemand mal versuchen, unvoreingenommen folgenden Passagen zu übersetzen? Ich stelle meine Übersetzung extra nicht mit ein, da mein Doktorvater anderer Meinung ist und ich wüsste gerne, was rauskommt, wenn es jemand ohne 65 Jahre Deutschordenserfahrung das übersetzt:

Notum sit tam futuris quam presentibus, quod magister Henricus de domo Theutonica dictus de Biseme concessit Arnoldo et Rutchero domum ...

und
Notum sit ..., quod Rutcherus, cognatus Adolfi, comparavit sibi dimidietatem domus et aree erga fratrem Henricum magistrum de Biseme, qui generalem habuit domus Theutonice in provincia nostra amministrationem.

Viele Grüße von Paula
Re: Wer hat's erfunden?
adiutor am 19.8.20 um 16:59 Uhr (Zitieren)
Es sei bekannt (gegeben) sowohl der Nachwelt und als auch
den heute Lebenden, dass der genannte Meister/Leiter
des Deutschordens von Biseme das Haus (dem) A. und R. zugesprochen hat ...

Es sei bekannt, dass R., ein Verwandter von A. , sich die Hälfte des Hauses
und Grundstücks in der Umgebung des (Ordens)Bruders H., des
(Ordens)Oberen von B., der die Gesamtleitung
des Deutschordens in unserer Provinz innehatte, erworben hat.
Re: Wer hat's erfunden?
Graeculus am 19.8.20 um 17:04 Uhr (Zitieren)
und als auch --> als auch

dictus de Biseme: genannt von B. (ich mag das nicht zu „magister“ ziehen)
Re: Wer hat's erfunden?
filix am 19.8.20 um 17:32 Uhr, überarbeitet am 19.8.20 um 17:33 Uhr (Zitieren)
Geht es um die Frage, ob Heinrich stets den Titel eines „magister de Biseme“ (Komturs von Biesen) trägt, oder ob „de Biseme“ im ersten Fall wenigstens ein Herkunftsname ist?
Re: Wer hat's erfunden?
Paula am 19.8.20 um 18:08 Uhr, überarbeitet am 19.8.20 um 18:09 Uhr (Zitieren)
Vielen Dank!

Es geht darum, ob das Haus, das Arnold und Rutger zugestanden wird, zum Kölner Deutschordenshaus gehört oder nicht. Der Eintrag steht zwar in einem Kölner Schreinsbuch, es handelt aber der Komtur von Biesen.
Mein Doktorvater will das qui generalem habuit domus Theutonice in provincia nostra amministrationem so interpretiert wissen, dass der Komtur von Biesen auch Vorgesetzter der Kölner Kommende war. Daran habe ich Zweifel. Ich würde es so interpretieren, dass Heinrich, Meister (das kann zu der Zeit - um 1234 - sowohl ein Komtur als auch ein Landkomtur sein) der Provinz Biesen ist und sich der Satzteil nicht auf die der Kölner Kommende vorstehende Koblenzer Provinz bezieht.

Problem: die frühe Verwaltungsorganisation des Ordens zwischen Koblenz und Biesen und die damit verbundenen Amtsbereichsquerelen und Kompetenzstreitigkeiten sind derzeit das Lieblingsthema meines Doktorvaters. Ich brauche nur die Zuordnung des Besitzes bzw. Nichtzuordnung zu Köln und möchte keine zweite Dissertation schreiben.
Re: Wer hat's erfunden?
Graeculus am 19.8.20 um 18:34 Uhr (Zitieren)
„in provincia nostra“, geschrieben in einem Kölner Schreinsbuch - da stimme ich Deinem Doktorvater zu.
Re: Wer hat's erfunden?
filix am 19.8.20 um 19:00 Uhr, überarbeitet am 19.8.20 um 19:00 Uhr (Zitieren)
Ungeachtet der Klärung der Frage, wer hier spricht, woraus der Sinn von „in provincia nostra“ sich ergibt, würde ich mir in der Quelle die Zeitenfolge bei solchen kommentierenden Relativsätzen ansehen.

„sibi comparare/emere erga aliquem“ heißt übrigens im Mlat. „kaufen von jemandem“.
Re: Wer hat's erfunden?
adiutor am 19.8.20 um 19:16 Uhr (Zitieren)
„sibi comparare/emere erga aliquem“ heißt übrigens im Mlat. „kaufen von jemandem“.

Danke, filix. Darauf muss man erstmal kommen, auch wenn es naheliegend ist.
Eine seltsame Konstruktion!
Hat ERGA öfter diese Bedeutung?

PS: Im Georges lese ich:
b) im üblen Sinne, in Hinsicht auf, deutsch vor, gegen,
Kannst du mir bitte erklären, was „deutsch vor“ wo das herkommt?
Re: Wer hat's erfunden?
adiutor am 19.8.20 um 19:33 Uhr (Zitieren)
*was „deutsch vor“ genau bedeutet und wo ...
Re: Wer hat's erfunden?
filix am 19.8.20 um 20:59 Uhr, überarbeitet am 19.8.20 um 21:02 Uhr (Zitieren)
Die genaue Bedeutungsentwicklung der Präposition „erga“ im Mlat. kenne ich nicht. Es findet sich jedenfalls auch „emere contra aliquem“, wie im mhd./frühnhdt. „koufen/kaufen wider jemanden“ (eventuell besteht da ein Zusammenhang), auch das uns noch leicht verständliche „emere apud aliquem“.

PS: Im Georges lese ich:
b) im üblen Sinne, in Hinsicht auf, deutsch vor, gegen,
Kannst du mir bitte erklären, was „deutsch vor“ bedeutet und wo das herkommt?


Dem ersten Beleg nach zu urteilen, „anxii erga Seianum“, bezieht das in Rede stehende „vor“ sich auf einen mittlerweile untergegangenen Sprachgebrauch, im 19. Jhdt. war man noch „ängstlich vor etwas“: „Die Kinder waren ängstlich vor den Pferden”, „Wir sind ängstlich vor Fehlwahlen, wir wollen die Möglichkeit haben, ein mißliebiges Mitglied des Raths wieder loszuwerden!“ usf.
Re: Wer hat's erfunden?
Paula am 19.8.20 um 21:12 Uhr, überarbeitet am 19.8.20 um 21:19 Uhr (Zitieren)
Das waren schon wieder gute Tipps! Vielen Dank!
Die beiden Textstellen stammen aus unterschiedlichen Einträgen. Der erste ist um 1230, der nächste um 1234.

Muss ich im ersten Text dann übersetzen „Heinrich genannt von Biesen, Magister des Deutschen Ordens“? Das dictus kann sich ja nur auf Heinrich beziehen, oder? Ich habe schon wieder voll die Anfälle von Verwirrung.

Beim zweiten Text würde ich es mit „Magister Heinrich von Biesen, der die Generalverwaltung des Deutschen Ordens in unserer Provinz innehat“ versuchen.

Geht das so oder ist das strubbelig?

Außerdem bin ich gespannt auf die Antwort auf adiutors Frage. Spannend! Ahh ... die steht schon da! Danke!

Re: Wer hat's erfunden?
filix am 19.8.20 um 21:43 Uhr, überarbeitet am 20.8.20 um 13:04 Uhr (Zitieren)
Ich würde trotz der verwirrenden Syntax auch im ersten Fall „dictus de Biseme“ auf „magister“ beziehen und keinen Genannt- bzw. Herkunftsnamen des Individuums daraus machen. Vgl. „Lupoldus coquine magister dictus de Nortinberch„,“ Johannes de Constantia magister dictus de Maredorfh“. Der zweite Fall ist in diesem Punkt ziemlich klar: „von Bruder Heinrich, Magister/Komtur von Biesen“. Was den Relativsatz angeht, hängt die Klärung der Frage, welche Provinz gemeint ist, vom Sprecher ab (z.B. dem für Köln sprechenden Schreinsschreiber), ob die im Relativsatz erwähnte „generalis amminstratio„ zugleich oder davor ausgeübt wurde („habuit“), m.E. von den Tempusregeln für solche Einschaltungen in der Quelle.

Re: Wer hat's erfunden?
Paula am 19.8.20 um 21:57 Uhr (Zitieren)
Vielen Dank für die Beispiele. Jetzt habe ich es verstanden!

Beim zweiten Fall lasse ich die Frage, was denn nun die „provincia nostra“ ist offen. Ich schreibe das so dahin, wie es im Text steht. Ich weiß nicht, wer der Sprecher ist. Im Perfekt stehen die Einträge allerdings meistens. Vermutlich, weil die Übertragung zumindest in dieser frühen Zeit erst mündlich erfolgte und die schriftliche Fixierung erst später. Konstitutivakt und Anschreinung fielen auseinander. Das beschreibt ganz anschaulich: Hans Planitz, Konstitutivakt und Eintragung in den Kölner Schreinsurkunden des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Festschrift für Alfred Schultze zum 70. Geburtstag dargebracht von Schülern, Fachgenossen und Freunden, hg. v. Walther Merk, Weimar 1934, S. 175‒205.

Zu „erga“ habe ich auch im Stotz nachgesehen, da steht aber nichts zur Bedeutungsentwicklung und zu comparare auch nicht.
Re: Wer hat's erfunden?
adiutor am 20.8.20 um 7:07 Uhr (Zitieren)
Vielen Dank, filix.
Meine Frage bezüglich der seltsamen Präposition „deutsch vor“ wäre noch offen.
Was soll „deutsch“ hier bedeuten? Ist das ein Druckfehler oder gibt es den Ausdruck
wirklich?

PS:
„koufen/kaufen wider jemanden“

Was soll „wider“ hier bedeuten? Klingt auch sehr seltsam.
Re: Wer hat's erfunden?
filix am 20.8.20 um 12:25 Uhr (Zitieren)
„erga“ .... „deutsch vor“ = „<entspricht> im Deutschen <bisweilen> vor“, also z.B. „anxius erga“ = im Sprachgebrauch des 19. Jhdts. „ängstlich vor“. Georges markiert so wohl eine nicht unmittelbar einleuchtende Übersetzung, da „vor“ in der Regel zunächst mit anderen lat. Präpositionen assoziiert wird und in diesem Fall semantisch sich nicht so einfach zu „in Hinsicht auf“, „gegen“ fügt. Ob das im gesamten Wörterbuch konsequent durchgehalten wird, sei dahingestellt.

„wider“ mit Akk. hat im Mhd. offenbar gelegentlich die Bedeutung von „einem Verhältniss zwischen zweien, wie gegen: koufen wider einen, von“. Ob das unter dem Einfluss von „emere erga aliquem“ (oder umgekehrt) sich entwickelt hat, ist mir nicht bekannt.
 
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Vielen Dank für die Beispiele. Jetzt habe ich es verstanden!

Beim zweiten Fall lasse ich die Frage, was denn nun die „provincia nostra“ ist offen. Ich schreibe das so dahin, wie es im Text steht. Ich weiß nicht, wer der Sprecher ist. Im Perfekt stehen die Einträge allerdings meistens. Vermutlich, weil die Übertragung zumindest in dieser frühen Zeit erst mündlich erfolgte und die schriftliche Fixierung erst später. Konstitutivakt und Anschreinung fielen auseinander. Das beschreibt ganz anschaulich: Hans Planitz, Konstitutivakt und Eintragung in den Kölner Schreinsurkunden des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Festschrift für Alfred Schultze zum 70. Geburtstag dargebracht von Schülern, Fachgenossen und Freunden, hg. v. Walther Merk, Weimar 1934, S. 175‒205.

Zu „erga“ habe ich auch im Stotz nachgesehen, da steht aber nichts zur Bedeutungsentwicklung und zu comparare auch nicht.
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