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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht (727 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 15.10.2019 um 15:27 Uhr (Zitieren)
Ein Freund, der als Fachleiter für Geschichte in NRW praktiziert, berichtet mir, daß im Geschichtsunterricht die Antike nur noch - maximal für ein Halbjahr - in der Stufe 6 (früher: Quinta) - vorkommt, später nicht mehr, insbesondere in der Oberstufe nicht.

Was man nicht wiederholt und einübt, geht aber verloren.

Wer also nicht Latein wählt, verfügt mit dem Abitur - und später dann erst recht - über keinerlei Kenntnisse der Antike mehr. Latein ist ein Fach, in dem man - warum auch immer - das Latinum erwirbt und es dann ins Unbewußte bzw. Nicht-mehr-Bewußte verlagert.
Altgriechischunterricht kommt ohnehin kaum noch vor.
Im Philosophieunterricht: allenfalls ein wenig Platon; außerdem handelt es sich nicht um ein Pflichtfach.

Die Antike hat sich aus dem Kanon des Allgemeinwissens der Abiturienten weitgehend verabschiedet. Das traditonelle Heidentum bleibt den Neuheiden verschlossen.
Re: Die Antike im heutigen Bildungskanon
Γραικίσκος schrieb am 15.10.2019 um 15:30 Uhr (Zitieren)
Unter der Hand ist mir die Glosse anders geraten als geplant - deshalb: ein anderer Titel.
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
Γραικίσκος schrieb am 16.10.2019 um 16:57 Uhr (Zitieren)
In der heutigen FAZ u.d.T. "Zyklopenlos" lese ich, daß die schwedische Schulbehörde (Skolverket) beabsichtigt, "zukünftig die Antike und das Mittelalter zugunsten der Nachkriegszeit aus dem Geschichtsunterricht zu exkludieren".
Der Artikel fährt fort: "Ein Vorschlag entsprechenden Inhalts war bereits 2010 vorgelegt und aufgrund massiver Kritik zurückgezogen worden. Angesichts der weltpolitischen Lage sei es heute jedoch mehr denn je geboten, ihn endlich umzusetzen, so proklamierte die Behörde nun erneut."

Der Korrespondent spottet, daß der norwegische Autor Karl-Ove Knausgård Schweden einmal als Land der Zyklopen bezeichnet und damit den Zorn der Schweden ausgelöst hat, würden dann die Schweden irgendwann gar nicht mehr verstehen, weil sie nicht mehr wissen, was ein Zyklop ist.
["Ein Wirbelsturm, oder?"]

Der französische Historiker François Hartog nennt dieses moderne Geschichtsregime "Präsentismus".

Wir brauchen in Deutschland die Nase nicht hoch zu tragen gegenüber den Schweden, denn auch bei uns gibt es sie, diese Tendenz zum Präsentismus.
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
Gast schrieb am 16.10.2019 um 17:08 Uhr (Zitieren)
Tendenz zum Präsentismus.

Der Begriff wird bei uns so nicht verwendet.

https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4sentismus
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
Γραικίσκος schrieb am 16.10.2019 um 17:35 Uhr (Zitieren)
Das Wort ist in Deutschland schon belegt?
Nun, die FAZ hat es mutmaßlich aus dem Französischen übernommen bzw. übersetzt. (Von ihr habe ich es.)
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
mitleser schrieb am 16.10.2019 um 19:20 Uhr (Zitieren)
Also zumindest in RLP wird auch in der Oberstufe wieder bei der Antike begonnen, wenn auch sehr holzschnittartig.
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
Γραικίσκος schrieb am 17.10.2019 um 12:59 Uhr (Zitieren)
Mit Geschichte als Pflichtfach (wie in der Unterstufe) oder als Wahlfach?
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
mitleser schrieb am 17.10.2019 um 16:48 Uhr (Zitieren)
Grundkurs und Leistungskurs
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
Γραικίσκος schrieb am 17.10.2019 um 18:16 Uhr (Zitieren)
Ja, das ist auch in NRW so: Grundkurs oder Leistungskurs (wenn auch in NRW ohne die Antike). Aber meine Frage zielt darauf, ob in RLP jeder Schüler - in der einen oder anderen Form - am Geschichtsunterricht teilnehmen muß.
In NRW kann man dieses Fach nämlich in der Oberstufe weitestgehend abwählen, und zwar bis auf einen einjährigen sog. Geschichte-Zusatzkurs, der 1. kein Abiturfach sein kann und 2. sich nur mit dem 20. Jhdt. befaßt.
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
mitleser schrieb am 17.10.2019 um 18:33 Uhr (Zitieren)
Kommt also in NRW auch im Leistungskurs keine Antike mehr vor? In welcher Zeit geht es denn los?
Man kann es nicht abwählen, aber wenn man ein anderes gesellschafttliches Fach als LK hat, werden die anderen Fächer (EK/Sozialkunde/Geschichte) als ein Grundkurs mit wechselnden Halbjahren unterrichtet.
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
Γραικίσκος schrieb am 18.10.2019 um 09:54 Uhr (Zitieren)
Nein, in NRW kommt auch im Leistungskurs keine Antike mehr vor. In der für das Abitur relevanten Qualifikationsphase (G8: 11/12, G9: 12/13) sind nur noch 19. und 20. Jhdt. Thema.
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
Gast schrieb am 18.10.2019 um 15:31 Uhr (Zitieren)
in NRW kommt auch im Leistungskurs keine Antike mehr vor. I

Welchen Sinn sollte es in diesen Jahrgangsstufen machen, noch einmal in die Antike zurückzukehren?
Ist nicht gerade das 19. und 20. Jhdt. entscheidend für das Weltbild und die Welt von heute?
(Evolution, Kosmologie, Wissenschaft und Technik, Weltkriege, Globalisierung, ...)

Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
Γραικίσκος schrieb am 18.10.2019 um 17:50 Uhr (Zitieren)
So lautet das Argument der Befürworter dieser Regelung.

Zwei Fragen dazu:
1. In welchem Maße ist unser heutiges Weltbild, jedenfalls in Europa und in den USA, auch (noch) durch die Antike bestimmt?
So ist beispielsweise die Demokratie eine antike 'Erfindung'.
Weiteres Beispiel: Sowohl im US-Kongreß als auch in der französischen Nationalversammlung finden sich die Fasces hinter dem Rednerpodium.
Jemand, der nur im Rahmen des 19. und 20. Jahrhunderts denkt, muß dies für ein faschistisches Symbol halten, nicht für ein republikanisches.
In Rom steht auf jedem Kanaldeckel "SPQR". Der Leistungskurs-Geschulte aus NRW rätselt.
Man kann diese Liste noch lange, und vielleicht sogar mit eindrucksvolleren Beispielen, fortsetzen.

2. Die Beschäftigung mit Geschichte hat zwei Funktionen: a. die Herkunft unserer Gegenwart verständlich zu machen (dazu die Beispiele aus 1.), b. uns unsere Besonderheit, unsere Identität bewußt zu machen durch Beschäftigung mit Alternativen, mit anderen Lebensweisen.
Auch dazu Beispiele:
Daß wir in einem Zeitalter der Menschenrechte leben und was das bedeutet, kann man sich nur bewußt machen, indem man sich mit einem Zeitalter befaßt, in dem es noch Sklaverei gab: die Antike.
Zu verstehen, daß wir in einem Zeitalter der Frauen-Emanzipation leben, erfordert die Kenntnis des Patriarchats, und zwar in seinen härtesten Ausprägungen: Griechenland (wo die Frau kaum das Haus verlassen durfte) und Rom (wo der pater familias das ius vitae necisque über seine Familienangehörigen inkl. Frau besaß).
Daß wir mehr und mehr zu Neoheiden werden, wird uns bewußt durch die Auseinandersetzung mit dem durch und durch christlichen Mittelalter sowie durch die Abgrenzung vom antiken, stärker durch religiöse Mythen bestimmten Heidentum.

Das könnte man noch länger ausführen, doch es kommt mir auf diese beiden Aspekte an: das Verstehen der eigenen Herkunft und das Verstehen der eigenen Identität durch das Andere, Fremde.
(Das ist eine Erkenntnis, die aus der Dialektik hervorgeht; und die Dialektik geht wiederum auf die Antike, auf Platon zurück.)

Für das Letztgenannte kann auch die Beschäftigung mit der afrikanischen, präkolumbisch-amerikanischen und asiatischen Kultur dienen; aber:
- Wo kommt die denn im Unterricht vor?
- Nur die Antike vereint beides: Herkunft und Fremdheit zugleich.
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
mitleser schrieb am 23.10.2019 um 17:40 Uhr (Zitieren)
Mir wurde nun - ohne das genauer prüfen oder vertiefen zu können - erzählt, dass dies an der anderen Konzeption des Geschichstunterricht in NRW liege, dort gebe es weniger chronologischen Unterricht, sondern vielmehr thematisch orientierten, also z.B. Demokratie in verschiedenen Epochen etc.
Re: Die Antike im heutigen Geschichtsunterricht
Γραικίσκος schrieb am 24.10.2019 um 16:53 Uhr (Zitieren)
In NRW soll beides, Längs- und Querschnitte, vorkommen. Aber Demokratie in der Antike - nein.
In den beiden letzten Jahrgangsstufen vor dem Abitur (= Abiturstoff) nur noch "Das lange 19. Jahrhundert" (von 1789 bis 1914) und "Das kurze 20. Jahrhundert" (von 1914 bis 1989).
Ob man inzwischen schon dazu übergegangen ist, die Zeit nach 1989 als Geschichte zu behandeln, weiß ich nicht; aber das hilft ja der Antike nicht.
 
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