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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Ein Ereignis und vier Perspektiven (668 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 23.09.2019 um 23:26 Uhr (Zitieren)
Die Schlacht von Carrhae Juni/Juli 260
zwischen dem römischen Kaiser Valerian
und dem sassanidischen König Šapur I. wird in der Überlieferung sehr unterschiedlich geschildert:
1. Valerians Niederlage aus persischer Sicht

Im dritten Konflikt überfiel uns, während wir gegen Edessa und Carrhae marschierten und die Städte belagerten, Valerianus Caesar. Er führte mit sich eine Streitmacht von 70000 Mann aus Germanien, Raetien, Noricum, Dacien, Pannonien, Moesien, Istrien, Hispanien, Mauretanien, Thrakien, Bithynien, Asien, Pamphylien, Isaurien, Lykaonien, Galatien, Lykien, Kilikien, Kappadokien, Phrygien, Syrien, Phönikien, Judaea, Arabien, Mauretanien, Germanien, Lydien und Mesopotamien. Eine große Schlacht fand statt bei Carrhae und Edessa zwischen uns und Valerianus Caesar und wir nahmen ihn mit eigenen Händen gefangen, ebenso wie die übrigen Generale, den Prätorianerpräfekten, Senatoren und Würdenträger. Sie alle nahmen wir gefangen und deportierten sie in die Persis . Wir brandschatzten, verwüsteten und plünderten Syrien, Kilikien und Kappadokien. [...] Wir führten Männer aus dem Reich der Römer in Gefangenschaft, Nicht-Iraner, und siedelten sie im Reich der Iraner, in Persien, Parthien, Susiana und Assyrien und in jeder anderen Nation an, wo unsere eigenen, unserer Väter und Vorväter Städtegründungen lagen.

[Sassanidische Staatsinschrift]

2. Valerians Niederlage aus christlicher Sicht

Sobald Valerianus die Herrschaft an sich gerissen hatte, befahl er als achter von Nero an, die Christen durch Foltern zum Götzendienst zu drängen und bei Verweigerung hinzurichten. Über die ganze Weite des römischen Reiches hinweg wurde das Blut der Frommen vergossen. Sogleich wurde Valerianus, der Urheber des ruchlosen Gesetzes, vom Perserkönig Sapor gefangen; in schändlichster Knechtschaft alterte der Kaiser des römischen Volkes bei den Persern.
Als schimpfliche Pflicht erloste er in seiner lebenslang anhaltenden Verurteilung dies, daß er, selbst auf dem Boden liegend, den König immer dann, wenn er aufs Pferd steigen wollte, nicht mit seiner Hand, sondern durch seinen Rücken emporheben mußte.

[Orosius: Adversus paganos VII 3 f.]

3. Valerians Niederlage aus Sicht der Sibyllinischen Orakel

Wann nun wiederum über die trotzigen Römer zwei kriegerische Männer [sc. Valerianus und Gallienus] herrschen werden, von denen der eine die Zahl Siebzig [Valerianus], der andere die dritte Zahl [Gallienus] hat, dann wird ein den Hals hochtragender Stier mit den Hufen die Erde durchgraben und mit doppeltem Horn den Staub aufwühlen und wird dem dunkelfarbigen kriechenden Tier [Šapur] viel Leid zufügen und die Städte arg verwüsten, darnach aber selber umkommen.
Alsdann wird wieder ein anderer kommen, ein Hirsch mit schönem Horn, der hungrig und in Wut auf den Bergen haust und die Gift sendenden wilden Tiere aufzehrt. Darauf wird, von der Sonne gesandt, ein schrecklicher und furchtbarer Löwe [Gallienus] kommen, der viel Feuer speit. Mit großem, waghalsigen Mut wird er den wohlgehörnten, eiligen Hirsch und die große, giftspeiende, furchteinflößende Bestie, die viel Zischen ausstößt, und den bogenförmigen Ziegenbock vernichten. Ruhm wird ihn erwarten. Selber aber unversehrt und unverletzt wird er unersättlich über die Römer herrschen, und die Perser werden leicht zu bezwingen sein.

[Die Sibyllinischen Orakel 13, 155-164]

4. Valerians Niederlage aus heidnischer Sicht

Als aber eine Pest das Heer [sc. Valerians] ergriff und den größeren Teil desselben wegraffte, fiel Sapor die morgenländischen Provinzen an, und verheerte alles. Da nun Valerianus aus Weichlichkeit und Untätigkeit, dieser mißlichen Lage des Reichs abhelfen zu können, verzweifelte, so suchte er den Frieden zu erkaufen, und fertigte zu diesem Endzwecke Gesandte an den Sapor ab. Doch dieser entließ sie unverrichteter Sachen und verlangte, daß Valerianus selbst zu einer Unterredung mit ihm über die ihm notwendig dünkenden Angelegenheiten kommen sollte. Ohne Überlegung willigte dieser ein, kam unbedachtsamer Weise mit weniger Begleitung zu Sapor, um wegen der Friedensbedingnisse zu unterhandeln und wurde plötzlich von den Feinden gefangen genommen. Und also endigte er zur größten Beschimpfung des Römischen Namens sein Leben als Gefangener bei den Persern.

[Zosimos: Historia nea I 36]

So verwirrend kann es geraten, wenn man ein Ereignis aus verschiedenen Perspektiven berichtet bekommt.
Re: Ein Ereignis und vier Perspektiven
Γραικίσκος schrieb am 23.09.2019 um 23:54 Uhr (Zitieren)
Eine weitere, noch phantastischere Variante, sozusagen 2b, ist der folgende christliche Bericht:
Nicht lange danach streckte auch Valerian, von ähnlicher Wut ergriffen, die ruchlosen Hände wider Gott aus und vergoß in ganz kurzer Zeit eine Menge unschuldigen Blutes. Diesen suchte Gott mit einer neuen und ungewöhnlichen Art der Strafe heim. Er sollte späteren Geschlechtern zur Warnung dienen, daß die Widersacher Gottes immer den gebührenden Lohn für ihre Frevel empfangen. Er geriet in die Gefangenschaft der Perser und verlor nicht nur die Herrschaft, die er zügellos mißbraucht, sondern auch die Freiheit, die er anderen entrissen hatte, und führte in der Knechtschaft ein schimpfliches Leben.
So oft nämlich der Perserkönig Sapor, der ihn gefangen genommen hatte, den Wagen oder das Roß besteigen wollte, mußte sich der Römer vor ihm niederkrümmen und ihm den Rücken darbieten; dann setzte ihm der König den Fuß auf den Nacken, indem er ihm unter Hohngelächter vorhielt, das sei die Wahrheit, nicht die Bilder, welche die Römer auf Tafeln und Wände malten. So lebte er, dem Hohn des Siegers verdientermaßen preisgegeben, eine geraume Zeit, damit der römische Name um so länger den Barbaren zu Spott und Gelächter diente.
Und auch das kam ihm zur Strafe noch hinzu, daß er, der einen Kaiser [sc. Gallienus] zum Sohn hatte, für seine Gefangenschaft und äußerste Knechtschaft keinen Rächer fand, und daß überhaupt niemand seine Rückgabe verlangte.
Nachdem er dann ein schimpfliches Leben in solcher Schmach geendigt hatte, wurde ihm die Haut abgezogen und mit roter Farbe getüncht, um im Tempel der barbarischen Götter zum Andenken an den herrlichsten Triumph aufbewahrt zu werden. Dort sollte ihr Anblick unseren Gesandten stets zur Warnung dienen, daß die Römer nicht allzusehr auf ihre Macht vertrauten, wenn sie die Haut des gefangenen Herrschers bei den persischen Göttern schauten.
Nachdem nun Gott solche Strafen über die Frevler am Heiligtum verhängt hat, muß man sich da nicht wundern, wenn nachher sich noch jemand unterfangen hat, ich sage nicht, etwas zu tun, sondern auch nur zu denken wider die Majestät des alleinigen Gottes, der das Weltall lenkt und erhält?

[Lactanz: De mortibus persecutorum 5]

Re: Ein Ereignis und vier Perspektiven
Γραικίσκος schrieb am 25.09.2019 um 18:36 Uhr (Zitieren)
Bei dem "schrecklichen und furchtbaren Löwen" des Sibyllinischen Orakels handelt es sich nicht um Gallienus, sondern um Odaenathus von Palmyra, der Šapur bald nach dessen Erfolg über Valerian besiegt hat.

Die Anspielungen sind nicht leicht zuzuordnen.

Natürlich handelt es sich um eine Prophezeiung post eventum.
 
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