Γραικύλος schrieb am 23.04.2024 um 16:56 Uhr (Zitieren)
Was genau war auf antiken Schiffen der Steuermann (κυβερνήτης; gubernator, rector navis)?
Im heutigen fachmännischen Sprachgebrauch handelt es sich um den für die Navigation zuständigen 1. Offizier unter dem Kapitän, während der Mann am Steuerruder - ein Befehlsempfänger - Rudergänger genannt wird.
Ich habe aber den Eindruck, daß das in der Antike nicht so zu verstehen ist. So gibt in Vergils Aeneis (V 160-164) der Kapitän dem rector navis mit barschen Worten an, welchen Kurs er gefälligst zu halten hat.
Re: Der Steuermann
Γραικύλος schrieb am 23.04.2024 um 17:06 Uhr (Zitieren)
Gemäß Aeneis V 176 ist klar, daß der Mann am Steuerruder, also der Rudergänger, gemeint ist.
Re: Der Steuermann
filix schrieb am 24.04.2024 um 13:51 Uhr (Zitieren)
Binders übersetzen "er selbst springt am Ruder ein, er selbst als Steuermann feuert die Männer an und dreht das Steuer zur Küste hin". Daraus ergibt sich, wie du sagst, dass rector navis den Rudergänger bezeichnet. Ist aber Steuermann für magister navis hier die korrekte Übersetzung? Das ist doch gewöhnlich der Kapitän, der Schiffsführer et cetera.
Übrigens ist die Gleichsetzung des Rudergängers mit Steuermann keine zeitgenössische Angelegenheit, wer im dt.-lat. Georges nachschlägt, liest:
Re: Der Steuermann
Γραικύλος schrieb am 24.04.2024 um 14:37 Uhr (Zitieren)
Bei Vergil ist es ja der Kapitän selbst, der den Mann am Steuerruder/Rudergänger sogar über Bord wirft.
Als Laie denke ich: Es muß jemand auf einem Schiff für die Ermittlung und Bestimmung des Kurses verantwortlich sein. Der kann aber nicht 24 Stunden pro Tag wach und im Dienst sein. Er muß daher seine Anweisungen an jemanden übermitteln, der Befehlsempfänger ist und an Steuerruder auch mal abgelöst werden kann: der das Ruder in concreto bedient, der Rudergänger. Das sind also zwei Funktionen mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen.
Im Prinzip müßte das auch in der Antike gegolten haben, d.h. derjenige, der den Kurs ermittelt und festlegt, kann nicht dauernd am Ruder stehen. Es kann aber sein, daß für die Kursermittlung der Kapitän höchstselbst verantwortlich war, sodaß es die spätere Unterscheidung zwischen Rudergänger und Navigationsoffizier nicht gab. Dann müßte der Kapitän auch in diesem Bereich qualifiziert gewesen sein: Kenntnisse über Sternbilder, Klippen, Fahrrinnen, genaue Lage des Zielhafens usw.
Re: Der Steuermann
filix schrieb am 24.04.2024 um 15:17 Uhr (Zitieren)
Steht Lionel Cassons Standardwerk Ships and Seamanshipt in the Ancient World in deiner Bibliothek? Snippets entnehme ich, dass es ein ganzes Kapitel über Arbeitsteilung und Hierarchie auf unterschiedlichen Schiffstypen enthält.
Aus den Pandekten geht jedenfalls hervor, dass im Falle einer Havarie der magister navis zivilrechtlichen Ärger bekommen hat, wenn er ohne gubernator ausgelaufen ist, was erstens bedeutet, dass deren Aufgabengebiete prinzipiell getrennt waren und zweitens gubernator eben den Steuermann durchaus im Sinne eines für die Navigation Verantwortlichen und nicht bloß den Rudergänger bezeichnete, wie das auch die Einträge im Georges nahelegen.
(Dig. 19.2.13.2, Ulpianus 32 ad ed.)
Re: Der Steuermann
Γραικύλος schrieb am 24.04.2024 um 16:50 Uhr (Zitieren)
Nein, dieses Buch befindet sich leider nicht in meinen Beständen.
Mein Problem tritt auch in der Flußschiffahrt, auf welche sich die Digesten beziehen, eher nicht auf. Da kann man nachts den Anker werfen und als gubernator eine Pause einlegen.
Ein Schiff, das Getreide von Alexandria nach Ostia transportiert, stellt eine andere Herausforderung dar. Da benötigt man doch selbst bei 12-Stunden-Schichten und Sieben-Tage-Arbeitswoche zwei Leute fürs Steuerruder.
Re: Der Steuermann
filix schrieb am 24.04.2024 um 17:42 Uhr (Zitieren)
Nach längerer Suche habe ich den Casson gefunden, er steht als Open-source-Digitalisat auf archive.org. Darin heißt es im Abschnitt über Handelsschiffahrt des 13. Kapitels Officers and Men zu unseren Fragen:
In einer der fürs Zitat von mir fortgelassenen zahlreichen Fußnoten verweist er auf die diese begrifflich scharfe Trennung unterlaufene Praxis anhand von Beispielen in Kunst und Dichtung: